Pro Smartphone-Pause: Warum tut sich Deutschland so schwer beim Handyverbot an Schulen?

(Bild generiert mit KI-Tool getimg.ai)

Die Debatten um ein grundsätzliches Handyverbot an Grundschulen und weiterführenden Schulen sind mal laut, dann verschwinden sie wieder aus der Wahrnehmung. Gerade sind sie laut. Im März endete die Bildungsministerkonferenz uneins in Sachen Handyverbot – nicht zum ersten Mal. Die Bildungsminister der Länder wollen zunächst „eine gesamtgesellschaftliche Debatte zur Nutzung von Smartphones und Sozialen Medien“. Es bleibt also Ländersache, oder anders ausgedrückt: ein Flickenteppich der Unverbindlichkeit. In Bayern gibt es bereits strenge Regeln für die Primarstufe, weiterführende Schulen können eigene Regeln treffen, im Saarland sind Handys an Grundschulen verboten. Hessen ist das erste Bundesland, dass in diesem Jahr nach den Sommerferien die private Handynutzung an allen Schulen grundsätzlich verbieten will, auch NRW plant, die Regeln zu überarbeiten. Doch in den meisten Fällen bleibt es am Ende den Schulen überlassen, wie sie damit umgehen.

Wir fragen uns: Wie lange soll die gesellschaftliche Debatte noch weitergehen – wo doch die PISA-Studie zeigt, wie sehr Schülerinnen und Schüler im Unterricht durch ihr Handy abgelenkt werden, wo doch viele Länder um uns herum gute Erfahrungen mit der Handy-Auszeit machen und wo doch eine neue Überblicksstudie der Uni Augsburg, die fünf große Studien aus mehreren Ländern miteinander verglichen hat, eindeutig die positiven Effekte des Handyverbots an Grund- und weiterführenden Schulen nachweist.

„Realitätsfremd“ sagen die Gegner

Doch wie argumentieren die Gegner? Sie halten ein Handyverbot an Schulen für realitätsfremd, unzeitgemäß und nicht praktikabel. Der Digitalverband Bitkom hat anlässlich der Bildungsministerkonferenz die Contra-Argumentation bekräftigt. „Ein Handyverbot an Schulen geht an der Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen völlig vorbei und ist keine zeitgemäße Antwort auf die Herausforderungen der digitalen Welt. Eine Unterscheidung zwischen privater und schulischer Nutzung ist weder praktikabel noch von den Lehrkräften durchsetzbar. Statt pauschale Verbote auszusprechen, sollten Schulen gezielt dabei unterstützt werden, Medienkompetenz zu vermitteln und digitale Technologien sinnvoll in den Unterricht zu integrieren“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Die Argumentationslinie, die auch andere teilen, leuchtet nicht ein. Denn das eine (Verbot) schließt ja das andere (Medienkompetenz) nicht aus. Natürlich muss ein Handyverbot an Schulen von pädagogischen Maßnahmen begleitet werden, die den Schülern einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technik vermitteln und ihre Fähigkeit stärken, kritisch und reflektiert mit Medien umzugehen. Natürlich brauchen Kinder Begleitung, weil sie nicht von selbst verstehen, was hinter sozialen Medien und Nachrichten steckt, welche Risiken algorithmisch erzeugte Filterblasen oder die Preisgabe von Daten bergen. Für solche Lerneinheiten könnten die Geräte ja auch bewusst wieder hervorgeholt werden.

Viel gewichtiger erscheinen uns die Argumente der Befürworter: Sie verweisen auf die durch Studien belegten positiven Effekte eines Handyverbots: Die Konzentrationsfähigkeit der Schüler steigt, die Noten verbessern sich, das Cybermobbing über Chatgruppen nimmt ab (von den in Chats geteilten Demolierungs- und Gewaltvideos ganz zu schweigen). Die Schüler sind aufmerksamer, offener und knüpfen mehr Kontakte, weil das Dauerschielen auf das Handy ausbleibt. Die erprobte Praxis an vielen Schulen bestätigt die Wissenschaft. In Frankreich und Italien zeigt sich schon seit Jahren, dass die Auszeit vom süchtig machenden Smartphone den Jugendlichen offenbar guttut – auch wenn sie anfangs murren, dass sie ihr Gerät für ein paar Stunden in den „Handytresor“ legen müssen.

Der digitale Konsum hinterlässt Spuren im Gehirn

Zwei eindrückliche Argumente von Wissenschaftlern: Der Kinderarzt und Medienkonsumexperte Dr. Daniel Becker hat untersucht, was das Handy mit dem Gehirn von Kindern macht. In einem Interview mit dem ZDF erklärt er: „Das unendliche Scrollen von kurzen Videos trainiert das Gehirn, alle 15 bis 30 Sekunden unterhalten zu werden. Die Folge: Es wird schwer, einer Unterrichtsstunde zu folgen, einem Lehrer zuzuhören oder auch nur die Episode einer Serie zu schauen. Kinder und Jugendliche brauchen echte Erfahrungen in der realen Welt, um sich zu entwickeln. Indem man das Handy aus der Schule verbannt, gibt man Kindern wichtige Stunden, um die reale Welt zu erleben.“

Auch der Hirnforscher Manfred Spitzer warnt vor den dramatischen gesundheitlichen Folgen der Handynutzung bei Jugendlichen. Gegenüber der Zeitung Merkur argumentiert er: „Kinder und Jugendliche müssen lernen, sich zu konzentrieren, mit koordinierten Bewegungen ein Ziel zu verfolgen; das tun sie beim Fußballspielen, beim gemeinsamen Singen oder Baumhaus bauen. Digitale Endgeräte trainieren das Gegenteil, indem sie reflexhaftes Reagieren fördern, weil ständig bewegte Töne und Bilder an den Nutzer herangetragen werden. So wird Konzentration abtrainiert.“ Bildschirmzeit im Kindesalter beeinflusse die Gehirnentwicklung und die kognitiven und psychosozialen Fähigkeiten negativ. Der Forscher hält ein generelles Verbot bis 14 Jahre und sogar ein Verbot sozialer Medien für sinnvoll, wie Australien es gerade vormacht. In Down Under dürfen Jugendliche unter 16 ab diesem Jahr keine sozialen Medien mehr nutzen. Plattformen wie Meta sollen zwölf Monate Zeit bekommen, um die Altersbeschränkung umzusetzen. Falls die Konzerne keine „angemessenen Maßnahmen“ ergreifen, drohen Strafen von bis zu 50 Millionen australischen Dollar.

Einfach mal machen

Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir in Deutschland einheitlich und verbindlich den „Handytresor“ an allen Schulen aktivieren würden, damit die Konzentrationsspanne in unserem Land nicht langfristig auf TikTok-Niveau sinkt – mit all den fatalen Folgen für unser soziales Miteinander, die kognitive Leistungsfähigkeit, Konzentration und Vertiefungsfähigkeit. Wäre es für unsere Kinder nicht eher ein Gewinn als ein Verlust, wenn sie wenigstens während der Stunden in der Schule – ein Zeitfenster von ohnehin nur wenigen Jahren – vor dem Sog dieses so mächtigen Instruments geschützt wären und sich ganz dem Lernen, Spielen und Freundschaften widmen könnten? Und so kompliziert kann es nicht sein, wie ja auch die Praxis zeigt, die Handys zu Schulbeginn einzusammeln, ordnungsgemäß zu verschließen und nach dem Schultag wieder freizugeben.

Mit Digitalisierungsverweigerung hat ein Verbot meines Erachtens nichts zu tun. Selbst Dänemark, das zusammen mit den anderen skandinavischen Ländern als Vorreiter bei der Digitalisierung der Schulen gilt, plant ein gesetzliches Verbot für private Handys und Tablets in den Klassenzimmern aller Schulformen, sowohl im Unterricht als auch in der Pause. Und warum bitte soll ein Verbot bei uns nicht funktionieren, wenn es bei Tabak, Alkohol und Alko-Pops sehr wohl klappt?

Aktuell sammelt die Petition „Kein Zugang zu sozialen Medien für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren“ Unterschriften, die dem Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag überreicht wird. Über 80.000 Unterschriften sind Anfang April (Stand 7. April) bereits eingegangen.

Zur Petition