„Wir dürfen kritische Aussagen nicht ignorieren“

Er sieht die deutsche Subventionspolitik für Wasserstoff kritisch und hält Aussagen über den Beitragsumfang von Wasserstoff zur Dekarbonisierung der Gesellschaft für riskant. Ein Gespräch mit André D. Thess, Professor für Energiespeicherung sowie Bestsellerautor, über die Pläne für den Wasserstoff-Hochlauf.

 

Bildquelle: IGTE, Universität Stuttgart

 


AGEV:
Der Weg in die Wasserstoffwirtschaft wird oft als Königsweg für die Energiewende bezeichnet. Sehen Sie das auch so?

Prof. Dr. André D. Thess: Ich bin der Meinung, dass Wasserstoff neben synthetischen flüssigen Treibstoffen in einem CO2-armen Energiesystem der Zukunft ein wichtiger chemischer Energiespeicher werden könnte. Bei Prognosen denke ich allerdings stets in Korridoren – und betrachte sowohl den Best Case als auch den Worst Case. Einerseits hat Jules Verne bereits 1875 eine optimistische Vision formuliert. Er schrieb: „Wasser ist die Kohle der Zukunft. … Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“ Doch es gibt auch kritische Aussagen, die wir nicht ignorieren dürfen: „Der Wasserstoff ist die Kernfusion unter den klimaneutralen Technologien“ Also: Die Wasserstoff-Wirtschaft erscheint stets gleich weit in der Zukunft. Auch wenn in Wissenschaft, Politik und Medien manchmal der Eindruck erweckt wird, es sei klar, was kommt, denke ich: Heute kann niemand belastbare Aussagen darüber treffen, wann, zu welchen Kosten und in welchem Umfang Wasserstoff zur Dekarbonisierung der Gesellschaft beitragen wird.

AGEV: Die EU hat jüngst eine Milliarden-Beihilfe bewilligt, damit Thyssenkrupp in Duisburg so genannten „grünen Stahl“ auf der Basis von Wasserstoff statt klimaschädlicher Kohle produzieren kann. Ist das nicht eine gute Nachricht?

Prof. Dr. André D. Thess: Eine erfolgreiche Demonstration CO2-armer Stahlherstellung mittels Wasserstoff würde ich für eine großartige technische Leistung halten, ähnlich wie die Autofahrt von Bertha Benz von Mannheim nach Pforzheim vor 135 Jahren. Ich kann mich allerdings nicht daran erinnern, dass Berthas Ehemann Gottlieb bei Kaiser Wilhelm mit einer Bitte um Subvention für den Technologiehochlauf des Automobilwesens vorstellig geworden wäre. Ebenso sehe ich heutige Subventionen kritisch.

AGEV: Wo sehen sie die größten Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Transformation zur Wasserstoffwirtschaft generell und insbesondere der vor kurzem überarbeiteten Wasserstoffstrategie der Bundesregierung?

Prof. Dr. André D. Thess: Obwohl ich selbst intensiv an der Lösung technischer Herausforderungen der Wasserstoffnutzung arbeite, halte ich nicht die technische, sondern die ökonomische Frage für die entscheidende: Wird es langfristig gelingen, klimaneutralen Wasserstoff zu Preisen unter einem Euro pro Kilogramm zu produzieren? Wenn dies der Fall ist, brauchen wir uns um die Zukunft des Wasserstoffs ebenso wenig Sorgen zu machen wie Fritz Haber und Carl Bosch um die Zukunft des von ihnen 1913 demonstrierten Verfahrens zur Ammoniaksynthese.

AGEV: Was wäre aus ihrer Sicht eine vernünftige Alternativstrategie für die Umsetzung der Energiewende?

Prof. Dr. André D. Thess: Die deutsche Energie- und Klimapolitik besitzt zwei Schwächen: den Verzicht auf Kernenergie und den Verstoß gegen das Prinzip der Technologieneutralität. Während der Weltklimarat IPCC in allen seinen Berichten die Kernenergie neben Wind und Sonne als klimaneutrale Energiequelle benennt und weite Teile der deutschen Bevölkerung spätestens seit der Energiekrise der Kernenergie positiv gegenüberstehen, ist Deutschland aus dieser CO2-armen Energietechnologie ausgestiegen. Gleichzeitig importiert Deutschland in großem Stil Atomstrom aus Frankreich. So etwas kann ich beim besten Willen nicht als rationale Energiepolitik bezeichnen. Durch technologiespezifische Eingriffe in den freien Markt wie das Verbrennerverbot, die Elektroautosubvention und die erzwungene Umstellung auf Wärmepumpen begibt sich Deutschland nicht nur auf einen klimaökonomisch ineffizienten Transformationspfad. Eine Einmischung in die private Entscheidungsfindung droht auch die Akzeptanz für CO2-arme Technologien in der Bevölkerung zu zerstören. Eine Alternativstrategie sollte aus meiner Sicht darin bestehen, die beiden genannten Mängel zu korrigieren und insbesondere die staatliche Regulierungsdichte abzubauen, statt zu erhöhen.

AGEV: Danke für das Gespräch.

Über Professor Dr. André D. Thess

Seit 2014 forscht und lehrt André D. Thess als Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart. Gastprofessuren führten den 59-jährigen geborenen Leningrader an die Stanford University, Nagoya University, Northeastern University Shenyang und die Dalian University of Technology. Nach seinem Physikstudium an der TU Dresden, seiner Promotion am heutigen Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf sowie Forschungsaufenthalten in Lyon, Grenoble und an der Princeton University wurde er mit 34 Jahren als Professor für Technische Thermodynamik an die TU Ilmenau berufen. Thess war im Juli 2022 Initiator der „Stuttgarter Erklärung“ gegen den Atomausstieg. Sein Buch „Sieben Energiewendemärchen? Eine Vorlesungsreihe für Unzufriedene“ stand mehrfach auf Platz eins der Amazon-Bestsellerliste in den Bereichen „Energiepolitik“ und „Energietechnik“.